Die Notwendigkeit, den Klimawandel zu bekämpfen, ist unbestreitbar, und die wissenschaftliche Gemeinschaft hat sich intensiv mit der Entwicklung und Bewertung von Klimapolitiken auseinandergesetzt. Der Artikel „Machine learning map of climate policy literature reveals disparities between scientific attention, policy density, and emissions“ (Callaghan et al., 2025) untersucht mithilfe von maschinellem Lernen die Verteilung der wissenschaftlichen Literatur zu Klimapolitik und vergleicht diese mit der tatsächlichen Politikdichte und den Emissionsdaten verschiedener Länder. Die Ergebnisse zeigen signifikante Diskrepanzen, die auf Forschungs- und Politikprioritäten hinweisen, die nicht optimal auf die dringendsten Herausforderungen ausgerichtet sind. Dieser Artikel soll diese Diskrepanzen aufzeigen und die Relevanz einer systematischen Analyse von Klimapolitik-Forschung diskutieren. Die im Pariser Abkommen festgelegten Ziele zur Begrenzung der globalen Erwärmung auf deutlich unter 2°C, idealerweise 1,5°C über dem vorindustriellen Niveau, erfordern drastische Maßnahmen zur Reduzierung der Treibhausgasemissionen (THG). Der jüngste Bericht des Zwischenstaatlichen Ausschusses für Klimaänderungen (IPCC) unterstreicht die Notwendigkeit schneller und umfassender Emissionsreduktionen in allen Sektoren. Trotz internationaler Verpflichtungen und nationaler Anstrengungen steigen die globalen Kohlenstoffemissionen weiter an, was die Notwendigkeit einer verstärkten Klimapolitik und deren effektiver Umsetzung verdeutlicht. Die wissenschaftliche Literatur spielt eine entscheidende Rolle bei der Information und Gestaltung effektiver Klimapolitiken. Sie liefert ex-post-Bewertungen implementierter Instrumente und ex-ante-Studien, die das Potenzial verschiedener Maßnahmen zur Emissionsreduktion untersuchen. Eine systematische Analyse dieser umfangreichen und diversifizierten Literatur ist jedoch eine Herausforderung. Die schiere Menge an Publikationen, die unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen angehören und verschiedene Sektoren, Instrumententypen und Analyseperspektiven abdecken, erschwert eine umfassende Synthese des Wissens. Hier kommt maschinelles Lernen (ML) ins Spiel, um große Datenmengen zu analysieren und Muster zu erkennen, die für menschliche Forschende schwer zu erkennen wären. Die Systematisierung der Klimapolitikforschung ist mit mehreren Herausforderungen verbunden. Erstens ist die Definition von „Klimapolitik“ selbst nicht immer eindeutig. Viele Politikbereiche, die nicht primär auf die Reduzierung von THG-Emissionen abzielen, können dennoch erhebliche Auswirkungen auf das Klima haben. Zweitens fehlt es an einheitlichen und umfassenden Klimapolitik-Typologien, was den Vergleich und die Synthese von Forschungsergebnissen erschwert. Drittens ist die große Menge an verfügbarer Literatur eine Herausforderung für traditionelle, manuelle Ansätze zur Wissenssynthese. Der vorliegende Artikel adressiert diese Herausforderungen durch den Einsatz von ML-Methoden zur Erstellung einer „lebenden systematischen Karte“ der Klimapolitikforschung. Diese Karte klassifiziert Studien nach Politik-Instrumententyp, Sektor und Geographie und ermöglicht so eine systematische Analyse der Forschungslandschaft. Callaghan et al. (2025) verwenden einen ML-Pipeline, die auf Transformer-basierten Sprachmodellen basiert, um die wissenschaftliche Literatur zu Klimapolitiken systematisch zu kartieren. Die Pipeline umfasst die folgenden Schritte:
- Datensammlung: Die Forschenden nutzten die OpenAlex-Datenbank, um über eine Million wissenschaftliche Dokumente abzurufen, die möglicherweise für Klimapolitik relevant sind. Die Suchanfrage wurde sorgfältig formuliert, um ein breites Spektrum an Klimathemen abzudecken, einschließlich Emissionsreduktionen, Kohlenstoffsequestrierung und Klimavariabilität. Die Verwendung von OpenAlex ist ein grosser Vorteil, da frühere Arbeiten sich oft auf Web of Science oder Scopus konzentrierten, die beide hinter Bezahlschranken liegen.
- Handcodierung: Um das ML-Modell zu trainieren, screeneten die Forschenden über 2500 Dokumente manuell und klassifizierten diese nach verschiedenen Kriterien, darunter die Relevanz für Klimapolitik, den Instrumententyp, den Sektor und die Geographie. Die Verwendung eines grossen und sorgfältig kuratierten Datensatzes für das Training ist entscheidend für die Leistung des ML-Modells.
- Modelltraining: Die Forschenden trainierten verschiedene Sprachmodelle, darunter ClimateBERT, ein vortrainiertes Sprachmodell für klimarelevante Texte, um die manuellen Codierungsentscheidungen zu reproduzieren. ClimateBERT hatte eine zusätzliche Vorabtrainingsphase auf Klimarelevanten Texten, wodurch eine bessere Performance erzielt wurde.
- Klassifizierung und Kartierung: Das trainierte ML-Modell wurde verwendet, um über 84.990 Studien zu klassifizieren und eine systematische Karte der Klimapolitikforschung zu erstellen. Die Karte ermöglicht es, Forschungslücken und -cluster zu identifizieren und die Verteilung der Forschung über verschiedene Länder, Sektoren und Instrumententypen hinweg zu analysieren.
- Geoparsing: Ein vordefiniertes Geoparser wurde eingesetzt um aus den Texten die erwähnten Orte zu extrahieren und diese den entsprechenden Ländern zuzuordnen.
- Sektorspezifische Disparitäten: Die Forschung konzentriert sich überproportional auf bestimmte Sektoren wie den Energiesektor, während andere Sektoren wie die Industrie unterrepräsentiert sind. Die Industrie ist jedoch ein wesentlicher Emittent von Treibhausgasen. Im Industriesektor werden vorwiegend ökonomische Instrumente untersucht, während regulatorische Instrumente wenig Beachtung finden. Im Gegensatz dazu werden im Gebäudesektor hauptsächlich regulatorische Instrumente untersucht.
- Geographische Ungleichheiten: Die Forschung konzentriert sich stark auf bestimmte Länder, insbesondere auf Industrieländer wie die USA und China, während Entwicklungsländer und Regionen wie Afrika unterrepräsentiert sind. Insbesondere Grossbritannien und Schweden erhalten in Relation zu ihren Emissionen viel Aufmerksamkeit.
- Instrumentenbezogene Divergenzen: Die Forschung konzentriert sich tendenziell auf bestimmte Politik-Instrumententypen wie ökonomische Instrumente, während andere Instrumente wie regulatorische oder informative Instrumente weniger Beachtung finden. Es zeigt sich, dass ökonomische Instrumente häufiger untersucht werden als sie tatsächlich angewendet werden. Im Gegensatz dazu werden regulatorische Instrumente in der Klimapolitik häufig eingesetzt, aber weniger häufig untersucht. Die wissenschaftliche Aufmerksamkeit für ökonomische Instrumente könnte auf der Annahme beruhen, dass diese effizienter sind, während regulatorische Instrumente als politisch leichter umsetzbar gelten.
- Mehr Forschung zu unterrepräsentierten Sektoren: Insbesondere die Forschung zum Industriesektor muss verstärkt werden, um effektive Politiken zur Emissionsreduktion in diesem Sektor zu entwickeln.
- Mehr Forschung in Entwicklungsländern: Es ist wichtig, die Klimapolitik in Entwicklungsländern besser zu verstehen, um deren spezifischen Herausforderungen und Chancen Rechnung zu tragen.
- Eine ausgewogenere Forschung zu verschiedenen Politik-Instrumententypen: Die Forschung sollte sich nicht nur auf ökonomische Instrumente konzentrieren, sondern auch die Wirksamkeit und Durchführbarkeit anderer Instrumente wie regulatorische, informative und Governance-basierte Ansätze untersuchen.
- Die Entwicklung von Living systematic maps sollte vorangetrieben werden: Diese können durch die automatische Aktualisierung dabei helfen, einen aktuellen Stand der Wissenschaft wiederzugeben und somit Forschende, politische Entscheidungsträger und Assessmentprozesse bei der Arbeit unterstützen.
Referenzen
- Callaghan, M., Banisch, L., Doebbeling-Hildebrandt, N. et al. (2025). Machine learning map of climate policy literature reveals disparities between scientific attention, policy density, and emissions. npj Clim. Action 4, 7.
- IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change). (2021). Climate Change 2021: The Physical Science Basis. Contribution of Working Group I to the Sixth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press.